Wo Kunst satt macht: Der Kunstverein Bitterfeld

Allgemein
Emilie Meißner

Der Kunstverein Bitterfeld ist eine wichtige soziale Stütze in der Stadt – und er braucht selbst Unterstützung.

Im Thronicke-Haus, mitten in Bitterfeld, liegt ein Ort, an dem Kunst mehr bedeutet als Farbe auf Papier. Hier, beim Kunstverein und der Jugendkunstschule Bitterfeld, beginnen Nachmittage mit einem tiefen Atemzug: Hände waschen, kurz ankommen, etwas trinken — meist Tee, manchmal Säfte, die das Sanitätshaus Schmidt spendiert. Und erst, wenn der Bauch nicht mehr knurrt und die Hausaufgaben erledigt sind, wird gemalt, gezeichnet, modelliert. Für erstaunlich viele Kinder ist das die erste Mahlzeit des Tages, weil morgens zu Hause nichts mit in die Schule ging. Und genau deshalb fühlt sich dieser Raum schnell nach Schutz an: warm, freundlich, verlässlich.

Dass dieser Ort so wirkt, hat viel mit Emilie Meißner zu tun. Die Kunstpädagogin, die in Wolfen unterrichtete und 1993 die Jugendkunstschule von Beginn an geprägt hat, wird 87 — und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Wer sie beobachtet, versteht, warum. Sie hört zu, sie ordnet, sie fordert. Nicht mit Pathos, sondern mit einer stillen Beharrlichkeit, die Kindern gut tut. „Religion, Herkunft, Geldbeutel — das spielt hier keine Rolle“ ist weniger ein Satz als ihre tägliche Praxis. Zum Team gehören auch Susann Herrmann und Simone Wüstemann, die unterstützen, bei Hausaufgaben helfen und da sind, wenn es klemmt. Die Erwachsenengruppe begleitet die freischaffende Malerin Suchra Gummelt im Vereinshaus in der Röhrenstraße — auch das gehört zum Bild des Vereins: Hier lernen nicht nur Kinder.

Angebote für Kinder und Erwachsene

Der Verein, 1949 gegründet und seit 1993 Träger der Jugendkunstschule, hat sich seinen Charakter bewahrt. Rund 30 Kinder kommen regelmäßig, dazu etwa 20 Erwachsene, die Kleinen an zwei Tagen in der Woche, die Größeren einmal. Der Unterricht folgt einem roten Faden, ohne starr zu wirken: Ein Jahresprojekt gibt die Richtung. Ideen werden gemeinsam besprochen, Skizzen entstehen, die Auswahl der Materialien wird erklärt, Komposition und Perspektive werden geübt. Was in der Schule oft zu kurz kommt, bekommt hier Zeit. Disziplin ist kein Selbstzweck, sondern die Brücke zum Stolz auf gelungene Ergebnisse. Das sieht man in den leisen Momenten, wenn eine Linie plötzlich stimmt, eine Fläche trägt oder ein Blick hell wird, weil etwas gelungen ist.

Die Biografien der Kinder sind unterschiedlich und wiederholen sich doch. Manche kommen ohne Frühstück, einige wachsen mit wenig Geld auf, andere sind gerade angekommen in Bitterfeld und lernen noch die Sprache. Manchmal steht ein Vater mit sechs oder sieben Kindern in der Tür und fragt, ob die Hausaufgaben erledigt sind. Es sitzen Gymnasiasten am Tisch, die gerade an einer Technik feilen. Und Zwillinge aus Nigeria, die fast ohne Anleitung malen und zeigen, wie frei Talent sein kann. Integration passiert nicht als Programmpunkt, sondern nebenbei, wenn man gemeinsam an etwas arbeitet, sich absprechen muss, Wörter findet und Geduld lernt.

Finanzielle Unterstützung nötig

Zu dieser Wahrheit gehört auch eine andere: Finanziell ist es eng. Imbisse lassen sich nicht abrechnen, die Zeiten, in denen Betriebe ab und zu Bilder kauften, sind vorbei. Land, Stadt und Kreis fördern — doch Kürzungen schmerzen, während Acryl- und Aquarellfarben, Pinsel und Papier kontinuierlich teurer werden. Und so wird jeder Nachmittag auch zu einem kleinen Balanceakt zwischen künstlerischem Anspruch und knappem Material. Ein Nachfolger für Emilie Meißner ist nicht wirklich in Sicht.

Dass Kunst hier so viel tragen kann, hat auch mit dem Haus zu tun: Ernst Thronicke (1920–2007), Lehrer für Kunsterziehung, Regionalkünstler und Ehrenbürger, war Mentor von Emilie Meißner. Das Gebäude gehört der Stadt und war als Begegnungsstätte gedacht — die Ernst-Thronicke-Stiftung führt sein Lebenswerk weiter, und wer die Atmosphäre spürt, versteht, warum dieser Ort mehr ist als ein Unterrichtsraum. Er erinnert daran, dass Kultur in Bitterfeld nie nur Dekoration war, sondern eine Sprache für die Lebenswirklichkeit.

Wir als NEUBI unterstützen den Verein seit vielen Jahren finanziell und materiell, weil wir sehen, was diese Arbeit bewirkt. Sie fängt Kinder auf, stärkt Familien, stiftet Sinn. Und sie tut etwas, das in Zeiten von Vorlagen und schnellen Bildern wichtig bleibt: eigene Ideen entwickeln. Künstliche Intelligenz hat ihren Platz, wenn sie klug eingesetzt wird. In der Kunst ist es jedoch heilsam, den eigenen Kopf zu benutzen, die Hand zu schulen und dem inneren Bild zu trauen. Das formt — weit über ein fertiges Bild hinaus.

Wer helfen möchte, hilft hier unmittelbar. Jeder Euro wird sichtbar — im Material, in einer Pausenmahlzeit, in der Ruhe, die Lernen erst möglich macht.

Spendenkonto

Kunstverein und Jugendkunstschule Bitterfeld Kreativ e. V.
IBAN: DE75800537220030340117

Am Ende eines Nachmittags liegt oft ein Stapel Arbeiten zum Trocknen bereit. Nicht jedes Blatt ist brillant, aber in jedem steckt Fortschritt. Genau deshalb klopft Emilie Meißner gern dreimal auf Holz, wenn es um die Zukunft geht. Nicht aus Aberglauben, sondern aus Zuversicht. Weil sie erlebt, wie Kinder wachsen, wenn man ihnen etwas zutraut. Und weil dieser Ort, so unscheinbar er wirken mag, Bitterfeld jeden Tag ein bisschen stärker macht.

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